Wenn Männer sich zurückziehen – was wirklich hinter dem Rückzug in Beziehungen steckt
Was ist nur los mit mir? Wenn Nähe plötzlich schwierig wird
Viele Männer fragen sich irgendwann: Was stimmt nicht mit mir?
Eigentlich läuft doch alles gut – Beruf, Freunde, Beziehung. Und trotzdem gibt es diese Momente, in denen Nähe sich plötzlich unangenehm anfühlt.
Wenn die Partnerin Zuwendung sucht, wenn jemand wirklich hinter die Fassade blickt – dann spannt sich innerlich etwas an. Man wird gereizt, will sich zurückziehen oder lenkt sich ab.
Manche Männer beschreiben, dass sie in solchen Momenten gar nicht genau wissen, was sie fühlen. Nur dieses diffuse Unbehagen.
„Ich liebe sie doch“, sagte mir einmal ein Patient. „Aber sobald sie mir zu nahekommt, fühle ich mich eingeengt. Dann sage ich etwas Verletzendes oder ziehe mich zurück – und verstehe selbst nicht, warum.“
Solche Reaktionen haben nichts mit mangelnder Liebe zu tun.
Sie sind Ausdruck einer inneren Spannung: zwischen dem Wunsch nach Nähe – und der Angst, in ihr verletzt zu werden.
Oft liegt darunter eine alte, unbewusste Wunde.
💔 Die verborgene Wunde: Warum Männer sich in Beziehungen oft zurückziehen
„Ich erinnere mich nicht an Schlimmes“, sagte mir einmal ein Patient in der Therapie.
„Bei uns zu Hause war einfach… wenig. Wir haben nicht über Gefühle gesprochen. Mein Vater war streng, meine Mutter still. Ich hab früh gelernt, meine Sachen alleine zu regeln.“
Er erzählte das ohne Bitterkeit – fast sachlich. Doch je mehr er über seine Kindheit sprach, desto deutlicher wurde, dass Nähe für ihn immer mit Unsicherheit verbunden war.
Wenn er als Junge weinte, wurde er zurechtgewiesen: „Jetzt reiß dich zusammen.“
Wenn er wütend war, hieß es: „So redet man hier nicht.“
Wenn er sich nach Trost sehnte, bekam er Schweigen.
Andere Männer berichten von körperlicher Gewalt, von Schlägen oder harten Strafen – und davon, dass sie schon früh gelernt haben, stark zu sein, nichts zu zeigen, „funktionieren“ zu müssen.
Doch auch dort, wo nie ein Schlag fiel, kann es emotionale Gewalt gegeben haben:
ständige Beschämung, Lieblosigkeit, Ausgrenzung oder das Gefühl, einfach nicht wichtig zu sein.
Kinder erleben solche Situationen als seelischen Schmerz. Und dieser Schmerz sucht sich Wege, um erträglicher zu werden. Folgende drei Ausprägungen sehe ich oft in meiner Praxis:
So unterschiedlich die Geschichten sind – sie haben eines gemeinsam:
Der kleine Junge von damals musste lernen, Nähe mit Vorsicht zu genießen, weil sie mit Schmerz, Beschämung oder Ablehnung verknüpft war.
Und dieses Muster wirkt bis heute.
Das Nervensystem erinnert sich, auch wenn der erwachsene Mann längst denkt, er hätte alles hinter sich gelassen.
Manchmal reicht schon ein Blick, eine Geste, ein Satz – und tief im Inneren zieht sich etwas zusammen.
Nicht, weil der Mensch gegenüber gefährlich wäre, sondern weil der Körper alte Erfahrungen mit neuer Bedeutung füllt.
⚡ Wenn der Körper in Alarm geht: Warum Rückzug kein Zufall ist
Viele Männer, die sich in Beziehungen zurückziehen, spüren innerlich einen Konflikt: Sie wünschen sich Nähe, fühlen sich aber gleichzeitig unter Druck oder überfordert.
Sobald ich die Zusammenhänge des Nervensystems erkläre, sind sie dann überrascht, dass ihre Reaktionen auf Nähe nicht bewusst gesteuert werden.
Sie entstehen AUTONOM im Körper – lange bevor der Kopf versteht, was los ist.
Unser Nervensystem speichert Erfahrungen.
Wenn emotionale Nähe früher mit Schmerz oder Überforderung verbunden war, schaltet es heute automatisch auf Alarm – selbst dann, wenn die aktuelle Situation eigentlich sicher ist.
Das geschieht im sogenannten autonomen Nervensystem.
Der Sympathikus, also das Aktivierungssystem, reagiert auf vermeintliche Gefahr mit Flucht- oder Kampfimpulsen. Herzschlag, Muskelspannung und Atemfrequenz steigen.
Für viele Männer fühlt sich das an wie innere Unruhe, Gereiztheit oder das Bedürfnis, „raus zu müssen“.
Andere erleben eher eine Erstarrung, wenn Nähe entsteht – der Parasympathikus übernimmt, der Körper fährt herunter, fühlt sich manchmal wie betäubt oder dumpf an, Emotionen scheinen wie eingefroren.
Das ist kein Mangel an Gefühlen, sondern eine unbewusste Schutzfunktion: Wenn ich nichts spüre, kann mir auch nichts passieren.
Manchmal zeigt sich die Alarmreaktion subtil: ein Lächeln, das plötzlich erstarrt. Ein Themenwechsel im Gespräch. Oder der Drang, sich in Arbeit, Sport oder Technik zu flüchten.
All das sind Versuche, das Nervensystem wieder in Sicherheit zu bringen.
Das Problem:
Der Körper reagiert auf emotionale Nähe, als wäre sie eine Bedrohung – obwohl sie in Wahrheit das ist, was er sich so sehr wünscht.
Diese körperliche Alarmreaktion erleben übrigens auch viele Frauen – oft zeigt sie sich nur anders.
Wie das aussieht, beschreibe ich im Artikel 👉 „Angst vor Nähe – wenn Nähe sich zu viel anfühlt“
🧩 Schutzstrategien: Wie Männer versuchen, Nähe zu kontrollieren
Diese Strategien sind oft unbewusst. Männer ziehen sich zurück, arbeiten mehr, werden still oder versuchen, die Kontrolle zu behalten.
Thomas, Anfang 40, kam ursprünglich wegen Erschöpfung in die Therapie.
Er arbeitete viel, war zuverlässig, kontrolliert, beliebt im Team.
Doch in seiner Beziehung wiederholte sich ein Muster:
Sobald seine Partnerin ihn emotional brauchte, zog er sich innerlich zurück.
„Ich weiß, dass sie mich liebt“, sagte er. „Aber wenn sie weint oder enttäuscht ist, kriege ich sofort das Gefühl, versagt zu haben. Ich will helfen – und gleichzeitig einfach weg.“
Im Gespräch wurde deutlich, dass Thomas Nähe fast ausschließlich über Leistung und Kontrolle regulierte.
Solange er etwas tun, helfen oder organisieren konnte, fühlte er sich sicher.
Doch sobald es um Emotionen ging – um Hilflosigkeit, Traurigkeit, Bedürftigkeit – reagierte sein Körper mit Alarm.
Dieses Muster begegnet mir in vielen Varianten:
All diese Strategien waren einmal kluge Schutzversuche, um seelisch zu überleben.
Das Problem: Sie laufen unbewusst weiter – auch dann, wenn sie längst nicht mehr gebraucht werden.
Der Wendepunkt: Erste Schritte zu mehr innerer Sicherheit
Wenn ein Mann erkennt, dass sein Rückzug eine alte Schutzreaktion ist, entsteht die Chance, Nähe neu zu erleben.
Dabei beginnt Veränderung aber selten mit einem großen Aha-Moment.
Oft sind es kleine Beobachtungen, die den Anfang machen – ein kurzer Moment, in dem man merkt: Ahhh, da ist wieder dieses alte Muster.
Ein Mann erzählte mir einmal:
„Früher dachte ich, meine Partnerin übertreibt. Heute merke ich, dass ich in solchen Momenten einfach Angst bekomme – nur dass ich sie nicht als Angst erkenne, sondern in so ne Art Überheblichkeit schalte…“
- 1Wahrnehmen, was passiert
Wann entsteht Enge, Druck oder das Bedürfnis, sich zurückzuziehen? Welche Situationen oder Worte lösen Stress aus? Diese Bewusstwerdung schafft Abstand zwischen Reiz und Reaktion – und genau dort entsteht Veränderung. - 2Körper ernst nehmen
Anspannung, Herzklopfen, innere Unruhe – das sind keine Zeichen von Schwäche, sondern Hinweise, dass das Nervensystem alte Alarmmuster aktiviert. Ein paar bewusste Atemzüge, ein kurzer Spaziergang oder das Spüren der Füße am Boden können helfen, den Körper wieder zu beruhigen. - 3Sich selbst hinterfragen – aber freundlich bitte
Viele Männer gehen mit sich um, wie früher andere mit ihnen umgegangen sind: kritisch, fordernd, hart. Wer beginnt, sich selbst mit Verständnis zu begegnen, unterbricht dieses alte Muster. Ein einfacher Gedanke kann helfen: Ich darf gerade so fühlen. Ich bin nicht falsch – ich reagiere nur „alt“. - 4Kommunikation wagen
Statt sich zurückzuziehen, kann es heilsam sein, ehrlich mitzuteilen, was im Inneren passiert. Sätze wie: „Ich merke, dass mir das gerade zuviel ist“ oder „Ich brauche kurz Zeit, um runterzukommen“ schaffen Verständnis – und verhindern Missverständnisse, dass die Partnerin sich alleingelassen oder abgelehnt fühlt. - 5Kleine Schritte statt großer Sprünge
Veränderung bedeutet nicht, plötzlich völlig offen oder emotional zu werden. Es geht darum, sich selbst zu erlauben, nach und nach sicherer zu werden. Ein ehrliches Gespräch. Ein Moment, in dem man bleibt, obwohl man flüchten will. Das sind echte Fortschritte.
Wie Schematherapie helfen kann, alte Muster zu verändern
In der Schematherapie geht es darum, zu verstehen, warum Männer in Beziehungen dichtmachen, und Wege zu finden, Nähe wieder als sicher zu erleben.
In der Therapie erzählte Thomas eines Tages von einer Situation mit seiner Partnerin.
Sie hatte sich verletzt gefühlt, weil er sich in einem Streit emotional zurückgezogen hatte.
„Ich wusste, dass sie Recht hat“, sagte er. „Aber in dem Moment war es, als würde in mir jemand die Tür zuschlagen.“
Während wir diese Szene betrachteten, wurde ihm klar: Das Gefühl von Enge und Hilflosigkeit war nicht neu. Es erinnerte an seine Kindheit – an die Momente, in denen er sich klein, machtlos und beschämt gefühlt hatte. Damals hatte Rückzug ihn geschützt.
Heute aber sorgte dieselbe Reaktion für Distanz und Missverständnisse.
Genau hier setzt die Schematherapie an.
Sie hilft, diese alten Muster und inneren Anteile zu erkennen – und neue, korrigierende Erfahrungen zu machen.
Alte Schemata erkennen
Schemata sind tief verankerte Glaubensmuster, die in der Kindheit entstehen, wenn emotionale Grundbedürfnisse nicht ausreichend erfüllt werden.
Bei Männern, die sich in Beziehungen häufig zurückziehen, zeigen sich oft Schemata wie:
Diese Schemata laufen unbewusst im Hintergrund und beeinflussen, wie Männer fühlen, denken und handeln – besonders in engen Beziehungen.
Innere Anteile verstehen
In der Therapie zeigt sich, dass verschiedene innere Modi aktiv werden können:
- das verletzte oder überforderte Kind, das sich klein, hilflos oder beschämt fühlt,
- die dysfunktionale Elternstimme, die streng, kritisch oder fordernd reagiert,
- und der gesunde Erwachsene, der lernt, beide Seiten wahrzunehmen, zu beruhigen und fürsorglich die Führung zu übernehmen.
Dieser gesunde Erwachsene ist kein Idealzustand, sondern eine Haltung: handlungsfähig, reflektiert und mitfühlend.
Er darf überfordert sein – aber er bleibt verbunden mit seinen Werten und kann Entscheidungen treffen, die dem heutigen Leben dienen.
⚓ Mut zur Begegnung mit sich selbst
Viele Männer beschreiben den Moment, in dem sie beginnen, ihr Verhalten zu verstehen, als eine Art Erleichterung.
Nicht, weil plötzlich alles leicht wird – sondern, weil sie aufhören, gegen sich selbst zu kämpfen.
Wenn klar wird, dass Rückzug, Kontrolle oder Härte keine Charakterschwächen sind, sondern einst notwendige Schutzstrategien, entsteht Raum für Mitgefühl.
Und dieses Mitgefühl ist oft der erste Schritt zu Veränderung.
Sich mit der eigenen Geschichte zu versöhnen, bedeutet nicht, in der Vergangenheit stecken zu bleiben.
Es bedeutet, zu verstehen, warum man so reagiert – und zu lernen, heute anders damit umzugehen.
In der Schematherapie geht es genau darum:
die alten Muster zu erkennen, das verletzte Kind zu versorgen und den gesunden Erwachsenen zu stärken.
So kann Nähe sich langsam wieder sicher anfühlen – ehrlich, ruhig, ohne Druck.
Wie auf See, wenn der Sturm nachlässt und sich die Kompassnadel endlich wieder beruhigt.
Es braucht Mut, hinzusehen. Aber wer sich traut, entdeckt oft mehr innere Stärke, als er je vermutet hätte. Und zwar in Bereichen, die man gar nicht auf dem Schirm hatte.
Kennenlern-Erstgespräch buchen
Wenn du spürst, dass dich dieser Text berührt hat und du dich in manchen Zeilen wiederfindest, kannst du in einem kurzen Kennenlern-Gespräch herausfinden, ob eine Schematherapie dir helfen kann, alte Muster besser zu verstehen und neue Wege zu gehen.
Ich biete dafür einen geschützten Rahmen, in dem du nichts leisten musst – nur ehrlich sein.